Zeit bekommt eine andere Qualität…

Auf Wanderschaft bekommt Zeit eine ganz andere Qualität.

Ich bin den Weg nicht gegangen, um ein einsames Abenteuer zu vollbringen, dessen ich mich im Nachhinein rühmen kann, nicht eine exzentrischen Urlaub zu machen oder mich mit denen zu vergleichen die den Weg bereits gegangen sind oder denen etwas voraus zu haben, die zu Hause geblieben sind und ihn nicht gehen können. Vielleicht war da ein Ruf, aufzubrechen, sich Zeit zu nehmen und dies auch für andere zu tun.

Die Wanderung hörte in Finesterre auf, körperlich, geographisch, auf. Das Ende der Welt war 3 Tage nach Santiago erreicht, aber das Gefühl weiterlaufen zu können ist sehr stark. Eine Art „gute Unruhe“. Ich bin unterwegs, nicht genau zu wissen oder zu sehen, wo ich ankomme, wo ich entlang gehe. Die innere Uhr scheint sich neu zu justieren und die Parameter um einen herum stellen sich neu ein. Einmal ist mir aufgefallen, dass ich weiter als die anderen jetzt gegangen bin. Viele gehen nur bis Santiago, nur wenige gehen weiter, aber unter diesen wenigen sind wieder bekannte Gesichter dabei. Gesichter, die ich seit Wochen immer wieder kommen und gehen sah. Es hat etwas von einer Art Feiertagslaune ansich, in der einem einfach alles gefällt – nach Finesterre! Ähnliches habe ich in den Tagen vor Santiago gespürt.

Viele fragten mich vor und nach der Wanderung, wie man den Tag so plant, wieviel ich laufen werde, und vieles mehr. Es sind viele Augenblicksentscheidungen. Mag sein, dass es im weiteren Verlauf des Weges einen noch besseren Platz gibt, an dem ich hätte bleiben können, mag sein, dass die Sonne in einer Stunde nicht mehr scheint, wenn ich jetzt Pause mache und einkaufen gehe. Mag sein, dass das Essen weniger kostet oder die Landschaft schöner ist, um Fotos zu machen. Trotz alledem muss ich immer vorher entscheiden, denn es kann eben auch sein, dass das alles nicht so ist und ich kann (und will) nicht zurückkommen und meine Entscheidung widerrufen. Unterwegs sein heisst, sich mit dem anfreunden, was im jeweiligen Moment möglich ist, auch wenn es nicht immer das Beste oder Schönste oder das ist, was man sich gewünscht hat. Ich muss mich auf den „Camino“ verlassen; haben ja auch schon viele vor mir getan.