Mein „Weg“ ähnelt einer Flucht. Der Camino ist auch vielleicht aus diesem unbestimmten, aber zwingenden Bedürfnis heraus entstanden: dem Befürfnis aufzubrechen, loszulassen, ein neues Kapitel aufzuschlagen, indem ich weit weggehe, an einen Ort, wo mich niemand kennt und wo ich die Möglichkeit habe, an nichts und niemanden zu denken, niemanden und über nichts Rechenschaft zu geben. Immer wieder passiert es, dass ich mich müde und fremd fühle, aber unerklärlich glücklich. Nicht friedlich oder zufrieden, ein Stück weit ab und an auch, aber täglich mehr werdend: glücklich. Das Neue und Unverhoffte täglich zu entdecken ist spannend. Eine Herausforderung, immer, jede wache Minute. Schön spannend.
Hinter jeder Kurve hat die Natur ein anderes Gesicht. Ich spüre das Gefühl der Dankbarkeit: „All dies ist für mich.“ Alles was ich sehe, was ich spüre, was ich rieche, habe ich nicht gemacht, aber ich bekomme es geschenkt. Ich gehöre dazu, wir alle gehören dazu.
Eine schöne Reise; wenn sie zu Ende geht, ist nichts mehr wie es mal war.
frei nach Schillers Weltreise „ein schöner Tag“
Der Camino besteht aus Begegnungen. Auf dem Camino ist die Stille nicht länger eine dunkle und unangenehme Leere, die gewaltsam mit irgend etwas gefüllt werden muss. Die Stille ist zu einer Art Teppich geworden, auf dem man sich bewegt. Einen Großteil der Zeit verbringe ich schweigend. Teilweise ist der Weg anstrengend, dass er keine Gespräch duldet, mit denen man nur seinen Atem verschwendet. Die Dialoge finden im Inneren statt, Gedankenkunststücke ohne roten Faden, ohne Schlussfolgerungen. Vermutlich die Folge des Schweigens, dass dieses innere Plappern hervorbringt. Strapazen des Weges werden davon abgestoßen…
Nie werden die Augen satt, wenn es beobachtet, wie Blumen, Felder und Hügel, Licht, Menschen und Ortschaften kommen und gehen. Ein Sehen, das niemals langweilig wird. Als ob der Geist langsam wieder zu Atem käme. All dies fliesst ein in den langsamen Rhythmus der Schritte und gehört schliesslich mir.