Weihnachtspost vom Bootsmann

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Bald werden es 30 Jahre, lieber Johannes, lang ist es her und immer noch wie gestern. Deine Weihnachtspost freut mich jedes Jahr und dieses Mal geht sie bei mir online.

WAS MIR SO IM KOPF RUMGEHT… Als kleiner Bub verbrachte ich viel Zeit bei meinen Großeltern in Forchheim. Bevor Du jetzt den Atlas rauskramst – na ja, heute macht das ein junger Mensch wohl eher mit GoogleMaps – Forchheim liegt zwischen Erlangen und Bamberg an den westlichen Ausläufern der Fränkischen Schweiz. Jedenfalls habe ich – gefühlt – die kompletten Schulferien bei Oma und Opa verbracht. Ostern. Pfingsten. Einen Teil der Sommerferien. Und an Weihnach- ten nochmals. Wir waren viel unterwegs: In der geliebten Fränkischen Schweiz, aber auch in Forchheim selbst – sei es zum Einkaufen, zum Spazie- rengehen am Main-Donau-Kanal, um andere Verwandte, den Friedhof oder einen Gottesdienst zu besuchen. Wir reden hier von der Mitte der 70er Jahre. Ungefähr. In meiner Erinnerung gab es damals einen – in Worten: einen; in Zahlen auch – Bettler in Forchheim. Das war ein netter, älterer Herr, den das Leben irgendwie ins Abseits oder zumindest an den Rand gespült hatte. Und in eine finanziell prekäre Lage. Ich weiß nicht mehr, wo genau er sein Plätzchen hatte, aber er saß da eben regel- mäßig. Genauso regelmäßig kamen wir, meine Oma und meine Geschwister, an ihm vorbei. Ich kann mich erinnern, dass wir immer ein paar Worte mit ihm wechselten, dass ihm meine Oma etwas Geld zusteckte (Ich vermute, grund- sätzlich mit dem Hinweis, es nicht zu vertrinken.), manchmal sogar etwas zu Essen. Vor allem, wenn wir vorher den Müllerbäcker – ein Wort – besucht und Bamberger Hörnchen gekauft hatten. In meiner Erinnerung gehörte dieser Mann, dieser Bettler irgendwie zu diesen Oma-Besuchen. Jetzt haben wir 2013, ich war lange nicht mehr in Forchheim, meine Großel- tern leben nicht mehr, den Bettler habe ich nie mehr gesehen, mein Lebens- mittelpunkt liegt inzwischen etwas westlich von München. Das führt dazu, dass ich mehr oder weniger viel Zeit in der bayerischen Landeshauptstadt verbringe. Und – ich weiß nicht, liegt das an den nahenden Geburtstagsfeier- lichkeiten des Religionsstifters – ich sehe Massen von Bettlern. Wirklich: un- zählige! Männer und Frauen. Junge und Alte. Mitteleuropäer oder Menschen, dessen Herkunft eindeutig auf „Balkan oder weiter hinten“ (so hat das ein Pas- sant erklärt) schließen lassen. Keiner hält ein Schwätzchen mit ihnen, nie- manden sehe ich stehen bleiben. Steckt ihnen jemand Geld zu? Oder findet so- gar eine Übergabe von Lebensmitteln statt? Bis jetzt habe ich Derartiges nicht gesehen. Und auch ich bleibe nicht stehen. Was ich vor fünf oder zehn Jahren noch getan habe. Mehr sogar: Ich muss es zugeben – mir gehen diese Bettler auf den Zeiger. Ich will keine rumänischen Frauen sehen, die quer über dem Gehsteig liegen und mir irgendwelche Dinge zumurmeln. Ich will auch keine Männer sehen, die ihr Hosenbein bis übers Knie hochgekrempelt haben, um den künstlichen Unterschenkel zu präsentieren. Ich mag kein Geld zahlen für Fremdsprachenkenntnisse oder Ausstellungsstücke aus dem medizinischen Fachhandel. Warum ist das so?

Wir haben alle schon Berichte über die rumänische Bettelmafia gelesen. Oder über die „Hunde-Bettler von der Schwanthaler Höhe“. Die knien oder stehen da irgendwo in den Innenstädten rum und müssen einen Großteil der „einge- nommenen“ Penunzen dem Capo abgeben. Ich selbst habe vor einigen Jahren einen Bettler gesehen, der nach seiner Schicht erst den Schließfächern, dann der Bahnhofstoilette einen Besuch abgestattet hat, um danach – vergleichs- weise – wie aus dem Ei gepellt den Bahnhof zu verlassen. Nicht ganz so lange her; auch am Bahnhof: Eine junge Frau bedachte mich mit unschönen Worten, weil ich ihr eine Papiertüte mit zwei Bamberger Hörnchen (sic!) überreichte: „Ich brauch’ Kohle, Du Pisser, nix zu fressen!“ Kann einem ganz schön den Tag versauen… Vor ein paar Tagen habe ich in der Zeitung gelesen, dass die Deutschen 2013 wieder einmal einen Spendenrekord aufgestellt haben. Wissen das die Bettler und rechnen mit erhöhtem Einkommen? Oder wollen sie einfach nur ein Stück vom Kuchen abhaben? Darf ich trotzdem sauer sein? Muss eine Stadt wie München – oder jede andere – das einfach akzeptieren? Ist unser Sozialsystem doch einfach nur im Arsch? Fragen über Fragen. Und das so kurz vor Weihnachten, dem Fest der Fragen, der Antworten und der Nächstenliebe. Was denkst Du so darüber? Ich hatte ein bitteres Jahr mit vielen Fragen, vielen Tiefschlägen, aber auch zwei, drei richtig tollen Erlebnissen. 2014 kann und muss also nur besser werden. Ich wünsche Dir ruhige und friedfertige Weihnachten, einen guten Start ins neue Jahr. Möge 2014 erfolgreich, freudig und ohne Komplikationen sein. Bettler hin oder her!